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Entscheidungen: tägliche Grundlage von Self-Leadership

Studieren oder Berufsausbildung? Der tolle neue Job in einer fremden Stadt oder hier bleiben, wo man weiß, was man hat? Vom Ersparten ein Abenteurer-Wohnmobil kaufen oder es für schlechte Zeiten zur Seite legen? – Der Punkt, an dem wir heute stehen, ist maßgeblich davon bestimmt, wie wir entscheiden. Wobei wir viele, wenn nicht gar die meisten, Entscheidungen kurzfristig und ohne längeres Nachdenken automatisch treffen. Vielleicht, weil die Fragestellung unbedeutend ist, sich eine längere Beschäftigung nicht lohnt oder weil die Lösung Routine für uns ist. Für gelingende Selbstführung sind hingegen besonders die Situationen spannend, wenn wir uns in einer im Ausgang ungewissen Entscheidungssituation befinden: und wir jetzt bewusst eine Entscheidung treffen müssen. Das erleben wir als anstrengend, kognitiv wie emotional.

Bewusste Entscheidungen

Bewusstes Entscheiden kann anstrengend sein. Obwohl die meisten Menschen sicher sagen würden, dass eine große Wahlfreiheit und bewusstes Entscheiden-dürfen für sie etwas sehr Positives ist. Und selbst wenn uns das viele Entscheiden im Alltag oft leicht fällt und wir sofort und ganz genau wissen, für welche Option wir uns entscheiden werden: wir sind uns meist gar nicht genau bewusst, wie wir entscheiden. Wie läuft der Entscheidungsprozess genau in uns ab? Wenn wir die einschlägigen Wissenschaften danach befragen, finden wir oft lange Ausführungen, die beschreiben, dass (gute) Entscheidungen den Regeln der Logik, den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitstheorie und der Maximierung des erwarteten Nutzens folgen – oder folgen sollte.

Doch wir Menschen wissen längst, dass wir nicht diesen idealen Bildern entsprechen. Wir verfügen einfach nicht über vollständiges Wissen, ein perfektes Gedächtnis und perfekte rechnerische Fähigkeiten. Stattdessen folgen wir beim Entscheiden eher Gewohnheiten und Erfahrungen, Intuitionen, Daumenregeln oder dem Urteil anderer.

Der deutsche Psychologe und ehemalige Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Gerd Gigerenzer hat sich in seinem Buch „Risiko“ intensiv mit dem Treffen richtiger Entscheidungen beschäftigt. Er beschreibt folgende Anekdote: er hat alle Ökonomen in seinem Umfeld, die sich mit den Modellen aus der berühmten rational choice theory beschäftigen, gefragt, wie sie ihre Ehepartner gefunden haben. Bis auf eine Ausnahme hat sich keiner von ihnen bei der Partnerwahl an die von ihnen gelehrte und vertretene Theorie gehalten.

Entscheidungen in der Theorie

Die rational choice theory (oder: Theorie der rationalen Wahl) ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene Ansätze einer Handlungstheorie aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Sie besagt vor allem, dass individuelle Handlungen auf rationalen oder vernünftigen Handlungsentscheidungen basieren. Und dass unser Handeln einerseits durch unsere Ziele, Wünsche oder Bedürfnisse bedingt wird, und andererseits durch unseren Versuch, diese Ziele in höchstmöglichem Ausmaß zu erreichen. Eine Handlung wird von uns mit umso größerer Wahrscheinlichkeit begangen, je größer der erwartete persönliche Nutzen für uns ist. Und je geringer die Kosten für unser Handeln sind. Das wohl bekannteste Erklärungsmodell der rationalen Entscheidung ist der klassische homo oeconomicus.

Auf dem Papier ergeben diese Modelle beim ersten Durchlesen viel Sinn. Viele Wissenschaftler und Berater haben daraus auch eine alltagstaugliche Entscheidungspraxis ableiten können, wie man eine gute Entscheidung treffen sollte. In einschlägigen Büchern lesen wir, wie wir zuerst die Situation umreißen sollten: was soll übergeordnet entschieden werden? Dann muss natürlich das Ziel geklärt werden: was soll mit der Entscheidung erreicht werden, bzw. welche Konsequenzen der Entscheidung sind gewünscht? Danach muss man die Entscheidungsoptionen ausformulieren und die für die Entscheidung relevanten Informationen zusammentragen.

So können wir die verschiedenen möglichen Optionen mit Hilfe der zusammengetragenen Informationen und mit Blick auf die Ziele bewerten. Schließlich treffen wir aufgrund unserer Bewertung eine fundierte Entscheidung. Anschließend müssen wir die getroffene Entscheidung natürlich auch konsequent umsetzen, damit sich die Chance erhöht unser zuvor definiertes Ziel zu erreichen. Soweit die Theorie.

Annäherung an Entscheidungen

Klar, jeder von uns hat schon mal eine „Was spricht dafür? – Was spricht dagegen?“ -Liste oder eine Kosten-Nutzen-Abwägung geschrieben. Wahrscheinlich haben wir dabei nicht nur wirtschaftliche, sondern auch emotionale oder soziale Parameter mit einbezogen.

Aber wie skizzieren wir dabei eigentlich genau die möglichen Optionen, zwischen denen wir uns entscheiden? Wie werden sie antizipiert ? Woher kommt unser Wissen über die möglichen Konsequenzen der verschiedenen Entscheidungsoptionen? Prüfen wir überhaupt alle Optionen? Wie priorisieren wir die verschiedenen Werte, die verschiedene Entscheidungsausgänge haben können? Woher wissen wir eigentlich, was wir wirklich wollen? Und woran erkennen wir überhaupt, dass wir uns in einer Entscheidungssituation befinden? Wie setzen wir die Entscheidung in die Tat um? Was beeinflusst, wie wir später auf den Entscheidungsmoment und die gewählte Option zurückblicken?

Jede dieser Fragen ist beinahe ein ganz eigens Forschungsfeld. Und so verwundert es nicht, dass das Thema Entscheidungen sowohl Neurowissenschaftler, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, Naturwissenschaftler und Philosophen seit jeher beschäftigt, aber wir Menschen uns im Alltag dem „Wie?“ eher selten und womöglich ungern zuwenden. Doch Entscheidungen sind das wohl grundlegendste Handwerk der Selbstführung.

Entscheidungen in der Praxis

Wir wollen uns im Folgenden daher mal an die Fragen annähern: Wie treffen wir in Wirklichkeit Entscheidungen? Wann ist das gut, wann schlecht? Können wir unser Entscheiden verbessern – und wenn ja, wie?

Wir handeln – und das klingt sehr vernünftig – fast immer auf Basis der uns vorliegenden Informationen. Die sind allerdings meist weder umfassend noch notwendigerweise richtig. Darüber sind wir uns generell auch eigentlich im Klaren: Teile der Informationen können brüchig oder regelrecht falsch sein. Leider wissen wir nicht, welche Info uns fehlt oder welche falsch ist – sonst würden wir diesen Zustand einfach ändern. Um diese Unwissenheit in der Informationslage bei der Entscheidungsfindung zu überwinden, versucht wir nicht selten, uns an den Entscheidungen anderer Menschen zu orientieren. Das tun wir in der Hoffnung, die fehlenden Informationen so auszugleichen und zu einer besseren Entscheidung zu gelangen. Imitation ist ein angeborenes Verhalten, um zu lernen und sich weiterzuentwickeln. 

Der Journalist und Autor des Buches „Wisdom of the Crowd“ James Surowiecki führt das am Beispiel der zwei benachbarten gleich guten, aber leeren Restaurants aus: Nachdem ein erstes Pärchen sich gleichermaßen spontan wie zufällig für eines der Restaurants entschieden hatte, folgten alle Menschen, die mit der identischen Frage konfrontiert waren, diesem ersten Pärchen. Vielleicht kennt ihr das sogar selbst. Dahinter steckt unser feste Glaube daran, dass Menschen sehr rational handeln – obwohl jeder von sich selbst weiß, dass das nicht wirklich stimmt.

Einfach nur mitmachen – statt selbst entscheiden

Wir folgen bei der Restaurant-Entscheidung dennoch einfach den anderen, weil wir davon überzeugt sind, dass diese Menschen über eine wertvolle Information verfügen, die schließlich zu der Entscheidung geführt haben wird, in dieses erste Restaurant zu gehen. Und das, obwohl wir weder die Personen noch den Grund für ihre Entscheidung kennen. Je mehr Menschen in diesem einen aber nicht in diesem anderen Restaurant sitzen, um so überzeugter sind wir: diese Menschen werden ihren Grund gehabt haben und folge ihnen. Die Konsequenz ist dann, dass sich in dem einen Restaurant die Gäste an der Bar aufreihen und auf einen Tisch warten. Während nebenan gähnende Leere herrscht – und keiner weiß warum.

Unter dem bezeichnenden Titel „Gemeinsam sind wir blöd?! Die Intelligenz von Unternehmen, Managern und Märkten“ hat der Soziologe und Systemtheoretiker Fritz B. Simon sehr ausführlich beschreiben, welche verschiedenen Mechanismen dahinter stecken können. Ein solcher Mechanismus, der die berühmte „Schwarmintelligenz“ unter das Niveau der Intelligenz des Einzelnen sinken lassen kann, ist – auf den ersten Blick vielleicht überraschend – soziale Interaktion.

Aufgrund von Unsicherheit bei unvollständiger Information tut wir uns bei der Entscheidungsfindung gerne mit anderen zusammen. Zunächst wird nur miteinander geredet, um fehlende Informationen auszutauschen. Aber schon nach kurzer Zeit beginnen wir, den Wunsch der Zusammengehörigkeit zu entwickeln und ausleben zu wollen. Wir beginnen vermehrt über den Austausch von Information hinaus auf sozialer und emotionaler Ebene miteinander zu interagieren.

Schlecht entscheiden dank Group Think

Erinnert euch an das Fahrstuhl-Beispiel aus dem Bibliotheksbeitrag „Haltung„: wir schwingen uns aufeinander ein. Schließlich beginnen Dynamiken in der Interaktion zu greifen, die nicht mehr dem Informationsaustausch, sondern vor allem der Gruppenbildung dienen. Eine dieser Dynamiken ist Konsens. Das Streben nach Übereinstimmung lässt den Menschen vermehrt auf die gemeinsame Schnittmenge der vorhandenen Meinungen und Informationen fokussieren. So entsteht eine Art kollektives Wissen und kollektives Verständnis einer Problematik und ihrer Lösung in der Gruppe. 

Was in anderen Situationen ein erstrebenswertes Ziel ist, bedeutet hier den Einstieg in einen Teufelskreis, der „Groupthink“ genannt wird. Dieser Begriff wurde 1972 von dem amerikanischen Sozialpsychologen Irving Janis aus der Taufe gehoben. Als berühmte Beispiel für den negativen Effekt von Groupthink werden oft der Nationalsozialismus, der Vietnamkrieg und das Challenger-Unglück angeführt. Was konkret passiert, ist, dass die eigentlich in der Gruppe vorhandene Vielfalt des Wissens in der direkten sozialen Interaktion auf seinen kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert wird.

Die neue soziale Gemeinsamkeit lässt nämlich keinen Platz mehr für das andersartige Nischen- und Zusatzwissen der Einzelnen. Das Wissen mag zwar wertvoll sein, könnte aber zu Diskussion und Dissens führen. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir jetzt gemeinsam eine Entscheidung treffen, die unseren Zusammenhalt stärkt, aber nicht auf der Gesamtheit aller eigentlich vorliegenden Informationen basiert, ist nun sehr groß. 

Umgang mit schlechten Entscheidungen

Doch die größere Herausforderung ist nicht die Tatsache eine schlechte Entscheidung getroffen zu haben, sondern unser Umgang damit. Wir neigen dazu, an einer einmal getroffenen Entscheidung sehr lange festzuhalten. Auch dann noch, wenn sich bereits andeutet, dass sie uns nicht zum Ziel bringt und sich bereits erkennbar Verluste als Konsequenz dieser Entscheidung zeigen. Die Wissenschaft bietet den Erklärungsansatz der „Selbstrechtfertigungshypothese“: weil das Eingeständnis einer falsch getroffenen Entscheidung einen (auch körperlich) sehr unangenehmen Spannungszustand auslöst, begeben wir uns lieber in einen komplizierten Rationalisierungsprozess. Mit diesem rechtfertigen wir vor uns selbst, warum die Entscheidung doch richtig oder gut war.

Dazu gesellt sich natürlich oft auch ein Rechtfertigungsdruck gegenüber unserer Mitmenschen. Meist positiv korrelierend mit der Tragweite einer schlechten Entscheidung durchlaufen wir mehr oder minder quälend einen komplexen Prozess aus Leugnen, Umdeuten, Rechtfertigen und eine Suche nach Schuldigen im Außen, bis wir erst uns selbst und schließlich im Außen zu einer Fehlentscheidung offen stehen.

Viele kleine Entscheidungen: Trial and Error

Diesen Mechanismen, mit begrenzten Informationen umzugehen, die eher schlechte Entscheidungen begünstigen, wollen wir nun einen Ansatz gegenüberstellen, der – so erforschte es Gerd Gigerenzer – auch bei knapper Informationslage eher zu guten Entscheidungen führen kann. Er fand heraus: Einfache Heuristiken können Probleme oft schneller und besser lösen als komplexe Strategien. Mit Heuristik ist ein Vorgehen gemeint, mit begrenztem Wissen und wenig Zeit dennoch zu guten praktikablen Lösungen zu kommen: basierend auf Erfahrungen, Wahrnehmungen und erlernten Fähigkeiten.

Die wohl bekanntesten Heuristiken, die wir alle regelmäßig nutzen, sind „trial and error“ und das Ausschlussverfahren. Gigerenzer nutzt für die Veranschaulichung seiner These die Frage: Wie entscheidet ein Baseballspieler, wohin er genau laufen muss, um den Ball zu fangen? Er berechnet nicht etwa die Parabel-förmige Flugbahn, inklusive Geschwindigkeit und Störfaktoren wie Windrichtung, sondern nutzt eine Fähigkeit, die uns die Evolution geschenkt und sein vieles Training für ihn perfektioniert hat: die Blick-Heuristik. Der Spieler fixiert den Ball, beginnt zu laufen und passt die Laufgeschwindigkeit so an, daß der Blickwinkel konstant bleibt. Dabei blendet er alles andere um sich herum aus. So nähern der Ball und er sich maximal gut aneinander an. Das machen wir alle übrigens so.

Gut Entscheiden – dank Ignoranz

Daran schliesst sich eine zweite wichtige Erkenntnis an: Ignoranz kann nützlich sein. Gigerenzer meint damit natürlich nur partielle und bewusste Ignoranz. Weil wir nicht immer einen Expertenpool zur Verfügung haben. Besonders wenn es schnell gehen muss, sind wir ständig mit der Notwendigkeit zur Ignoranz konfrontiert und können daraus sogar nützliche Information extrahieren. Folgen wir mal kurz seinem Beispiel, wie es sich auch regelmäßig bei der Quizsendung „Wer wird Millionär?“ abspielt.

Gigerenzer fragte Amerikaner und Deutsche gleichermaßen: Welche Stadt hat mehr Einwohner – San Diego oder San Antonio? 72% der befragten Amerikaner lagen mit ihrer Antwort richtig. Und obwohl bei uns Deutschen die Chancen eher schlecht liegen, da wir wenig über San Diego wissen, und von San Antonio wahrscheinlich noch nie gehört haben, hatten 100% die Frage richtig beantwortet: San Diego ist größer. Unser Vorteil ist, daß wir eine schnelle Heuristik, die Rekognitionsheuristik nutzen können: Wenn wir von einer Stadt schon oft gehört hat, von der anderen aber noch nie, dann stehen die Chancen gut, dass die erste Stadt mehr Einwohner hat. Die befragten Amerikaner konnten diese Heuristik nicht nutzen, sie wussten zu viel. Man braucht partielle Ignoranz, um die Rekognitionsheuristik anwenden zu können. 

Intuition statt Information

„Go with what you know“ nennt Gerd Gigerenzer dieses Vorgehen. Er verknüpft diese Art Entscheidungen zu treffen mit dem wichtigen, aber immer noch viel zu oft unterschätzten Intelligenzsystem Intuition – in seinem Text „Intuition und Führung“:

Intuition ist nicht sechster Sinn, göttliche Eingebung oder ein parapsychologisches Phänomen. Wir verwenden den Begriff „Intuition“ oder auch „Bauchgefühl“, um ein Urteil zu bezeichnen, das rasch im Bewusstsein auftaucht, dessen tiefere Gründe uns nicht ganz bewusst sind, und das stark genug ist, um danach zu handeln. […]

Große Teile unseres Gehirns arbeiten unbewusst, einschließlich der Großhirnrinde. Was dort gespeichert wird, ist die Grundlage von Intuition. Sich diese unbewusste Intelligenz zunutze zu machen, ist ein wesentlicher Schlüssel für gute Entscheidungen in einer unsicheren, komplexen Welt (Gigerenzer, 2007). Ohne Intuition könnten wir wenig zustande bringen. […]

Die beiden Beispiele veranschaulichen zwei Konflikte im Umgang mit Intuition:

  • Intuition ist gefühltes Wissen, das man nicht begründen kann. Man kann also die Gründe nicht in Sprache ausdrücken. Daher ist es sinnlos, jemanden nach Gründen für eine intuitive Entscheidung zu fragen.
  • Intuition gilt in weiten Bereichen unserer Gesellschaft als verdächtig. Wenn etwas schiefgeht, kann man nicht einfach sagen, das war intuitiv. Kann man aber auf analytische Prozeduren verweisen, sichert man sich besser ab. Dies führt zu einer Absicherungskultur durch Prozeduren, die auf Kosten der Performance gehen kann.

Erfahrung statt Erforschung

Der kanadische Journalist und Buchautor Malcolm Gladwell hat in seinem Buch „Blink! Die Macht des Moments“ viele Studien zusammengetragen, die allesamt zeigen: Nicht das fundierte Abwägen, sondern blitzschnelles Entscheiden – der Wimpernschlag – bestimmt unser Leben. Er beginnt mit einem eindrucksvollen, nicht ganz alltäglichen Beispiel, das in den USA vor ein paar Jahrzehnten großes Aufsehen erregte. Das Getty-Museum in Los Angeles hatte eine antike Mamor-Statue zum Kauf angeboten bekommen. Die Statue wurde auf ein Alter von 2500 Jahren geschätzt. Sie sollte 10 Millionen Dollar kosten.

Das Museum gab damals ein Gutachten in Auftrag, um die Echtheit prüfen zu lassen. Naturwissenschaftler machten sich mit Röntgenapparaten und Elektronenmikroskopen an die Arbeit und nach monatelanger Untersuchung fanden sie kein Anzeichen für eine Fälschung. Als aber ein vorbeilaufender, sehr erfahrener Archäologe die Statue das erste Mal sah, bekam er sofort ein ungutes Gefühl, dass er folgendermaßen beschrieb: es fühle sich an, als sei eine Glasscheibe zwischen ihm und dem Werk.

Weitere Kunstexperten wurden hinzugezogen und meldeten ebenfalls spontan Zweifel an, die sie kaum in Worte fassen konnte: die Fingernägel seien seltsam, oder, die Skulptur wirke für eine alte griechische Statue zu frisch. Schließlich stellte sich heraus: Sie hatten Recht. Die monatelangen Untersuchungen erwiesen sich als irreführend, denn es handelte sich tatsächlich um eine Fälschung. Die Kunstkenner waren in Sekundenschnelle ohne Apparate aber mit Bauchgefühl dank vielseitiger Erfahrung zu einem treffsicheren Urteil gekommen.

Mit diesem Urteil im Hinterkopf konnten schließlich andere Untersuchungen angestellt werden. So stellte sich heraus, dass eine bisher unbekannte Technik genutzt worden war, um den Marmor künstlich altern zu lassen. Menschliche Intuition hatte das Getty-Museum vor einem großen Schaden bewahrt.

Gutes Entscheiden ist breit aufgestellt

Fassen wir nochmal zusammen: Es gibt eine Vielzahl von Unterarten von Entscheidungen – leichte oder schwierige, komplexe oder einfache, Entscheidungen unter Risiko und Entscheidungen unter Unsicherheit, schnelle Entscheidungen oder solche, für die wir viel Zeit haben. Es scheint vor allem unsere Erfahrung zu sein, die uns dabei hilft zu erkennen, um welche Entscheidungen es sich handelt und welcher Entscheidungsprozess sich für diese Situation am ehesten anbietet: ob Intuition, Heuristik und partielle Ignoranz zielführender sind, der intensive Austausch mit anderen Experten oder der klassische Weg entlang der rational choice theory. 

Abschließend wollen wir noch eine letzte Frage aufgreifen, da wir hier wie selbstverständlich von schlechten und guten Entscheidungen sprechen ohne klare Definition geliefert zu haben, wann oder wie eine Entscheidung als schlecht oder als gut kategorisiert werden kann. Im täglichen Leben machen wir das meist ganz intuitiv an der Konsequenz fest, die diese oder jene Entscheidung hatte: ist die Konsequenz einer Entscheidung für uns positiv, war es eine gute Entscheidung – und andersherum. Aber wie siehst du das: wann würdest du bei dir von einer guten Entscheidung sprechen und wann von einer schlechten Entscheidung?

Zusätzliche Literatur

  • Gerd Gigerenzer, Risiko – wie man richtige Entscheidungen trifft, C. Bertelsmann 2013
  • Gerd Gigerenzer, Intuition und Führung, Bertelsmann 2013
  • Surowiecki, James: The Wisdom of Crowds. New York, Anchor 2005
  • Malcolm Gladwell, Blink!: Die Macht des Moments, Campus, 2005
  • Hans-Rüdiger Pfister, Helmut Jungermann, Katrin Fischer, Die Psychologie der Entscheidung, Eine Einführung, Springer 2017

Über den Autor

Dr. Fabian Urban ist promovierter Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftler, systemischer Berater und aktiver Ironman-Triathlet. Er promovierte an der Universität Freiburg am Lehrstuhl für Personal- und Organisationsökonomie zum Thema „Emotionen und Führung“.

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