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Führungswechsel: die ersten 100 Tage

Solange es die Menschheit gibt, gibt es Führung und damit auch Führungswechsel. Gerade antike Erzählungen handeln von kaum etwas anderem als von machtvollen, hinterlistigen, grausamen oder zukunftsweisenden Führungswechsel – oder ihrem Scheitern. Ein besonders eindrucksvolles Werk ist „Der Fürst“ des politischen Philosophen Nicolò Machiavelli, der sich Anfang des 16. Jahrhunderts intensiv mit der Frage beschäftigte, auf welche Weisen man „Oberherrschaft“ erfolgreich erwerben, sie erhalten und zu mehr Größe steigern kann. Machiavelli spricht zunächst von den verschiedenen Fürstentümern und wie man Herrschaft über sie erlangen kann, anschließend schreibt er über die richtige Führung eines Heeres und abschließend über das richtige Verhalten eines Fürsten und welche Eigenschaften ein guter Fürst mitbringen sollte.

Führungswechsel – damals wie heute

Auch wenn es in der heutigen Zeit und in modernen Organisationen nicht um den Thron-Erwerb oder die Herrschaft über Fürstentümer geht. Viele Fragen, die Machiavelli in seinem Werk aufwirft, sind im übertragenen Sinne auch heute noch relevant, wenn man sich in eine neue Führungsposition begibt: hat man es dem Glück, seinen Talenten, einem „Verbrechen“ oder der Liebe seiner „Mitbürger“ zu verdanken, dass man die neue Rolle bekommt? Welches Führungsverhalten ist lobenswert, welches tadelnswert? Ist es besser geliebt oder gefürchtet zu sein? Wieviel Rechtschaffenheit ist zielführend oder bedarf es auch der Täuschung? Wie erlangt man die Achtung seiner Untergebenen? (Es handelt sich hierbei um Machiavellis Wortgebrauch.)

Was seinen Überlegungen und den Führungswechseln in modernen Organisationen gemein ist, ist die Tatsache, dass in den ersten Monaten in ihrer neuen Rolle die meisten Führungskräfte verletzlicher sind: die Übergangsphase zeichnet sich meist durch ein zwischenzeitliches Defizit an Wissen über Abläufe, Zusammenhänge, direkte (neue) Kollegen, Rollen und durch noch nicht gefestigte Beziehungen aus.

Das Potential von Führungswechsel

Bei allem, was theoretisch höchste Priorität hat: Was ist in den ersten 100 Tagen wirklich wichtig, wenn man bedenkt, dass der Tag nur 24 Stunden hat – und der Arbeitstag bestenfalls nur 8 Stunden haben sollte? Welchen Grundstein legt man zuerst? Welche Fehler darf man vermeiden, welche Potentiale gilt es schnell zu entfalten? Wie kann man das berühmte „jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ für alle Beteiligten wirksam nutzen? 

Besonders der letzte Punkt birgt großes Potential: Während Führungswechsel auf allen Ebenen in vielen Unternehmen beinahe zum täglichen Geschäft gehören, gibt es meist wenig Anleitung und Hilfestellung, wie Unternehmen, die Teams oder die Führungskraft selbst diese Zeit zielführend gestalten können. Nicht selten schwankt dann die Haltung aller Betroffenen zwischen „Augen zu und durch“ oder „sich in Ruhe vertraut machen“. Beides verkennt die große Chance, die in einem Führungswechsel steckt, wenn ein neuer Spieler mit viel Energie das Spielfeld betritt und mit einer klaren Ausrichtung beginnt, den Ball zu spielen.

Die eigene Roadmap zum Führungswechsel skizzieren

Die folgende Reflexionsübung soll dir dabei helfen, diese Energie nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, für dich zu erkennen und zu nutzen, deine Zeit und deine Prioritäten gut aufzuteilen und dir im Vorfeld eine Roadmap zu erstellen, die dir besonders in hektischen Zeiten Halt und Hilfestellung gibt. Bitte beachte dabei, dass die Formulierung der „100 Tage“ symbolisch zu verstehen ist. Selbst wenn man schon seit vielen Jahren in einer neuen Führungsrolle ist, gibt es immer die Chance einen Neuanfang einzuläuten.

Gehe die Liste für dich durch und schreibe anschliessend zu jedem Punkt ein paar Stichworte auf, wie du ihn angehst oder angehen willst, oder wieso er für dich in der jetzigen Situation nicht relevant ist. Beachte unbedingt, dass diese Liste keineswegs vollständig ist – ergänze sie um das, was dir selbst wichtig ist.

Intensiviere deinen Lernprozess

  • Sei offen dafür, dass du ungeachtet deiner bisherigen (umfangreichen) Erfahrung und deiner besonderen Verantwortung das Mindset eines Lernenden annimmst und Lernen bzw. regelmäßiges Üben die wichtigste Grundlage für die nächsten Monate bilden sollte.
  • Mache dir einen Plan, was es für dich an dieser Stelle noch zu lernen und zu üben gibt. Schreibe dazu, wie und wo du es lernen und üben kannst und plane Zeiten ein, in denen du diesen Plan umsetzt.
  • Finde heraus, welches die besten Quellen zum Lernen innerhalb des Unternehmens sind und zapfe diese Stellen regelmäßig an.

Positioniere dich sichtbar

  • Was braucht es, damit du für dich im Innen ebenso wie im Außen für die anderen eine klare Zäsur zwischen deiner alten Rolle und deiner neuen Rolle setzen kannst?
  • Welche offensichtlichen Verantwortungen wirst du mit der Rolle übernehmen? Wie kannst du dies bewusst angehen?
  • Welches Fundament brauchst du, damit du Erfolg in deiner Rolle haben kannst? Wie kannst du es dir erschaffen?

Baue dein Team auf

  • Überlege inwieweit die existierende Teamstruktur und/oder Organisationsstruktur auf die erfolgreiche Ausübung deiner Rolle einzahlen. Mache dir auch bewusst, welche Strukturen dir eher im Wege stehen. Welche kannst du verändern und zu welchem Zweck?
  • Überlege wie kurzfristige Ziele und langfristige Ziele ineinandergreifen und baue das Team entsprechen auf, bzw. deine Interaktion mit dem Team. Welche Konflikte könnten zwischen den kurzfristigen und den langfristigen Zielen entstehen?
  • Etabliere einen klaren, vielleicht sogar intensiveren, in jedem Fall für deine Vorgaben eindeutig zielführenden Teamprozess.

Passe deine Strategie an die neue Situation an

  • Sicherlich hast/hattest du im Vorfeld viele Ideen, wie man den Job und die neue Rolle viel besser ausfüllen kann. Lasse diese Ideen für einen Moment los und betrachte deine neue Rolle „von innen“. Wie stellt die Situation sich nun dar?
  • Überlege nun nochmal neu, welche Strategien und Ideen zu deinem neuen Blick auf die Gesamtsituation aus deiner neuen Rolle heraus wirklich passen. Wiederhole die Übung im Laufe der ersten Monate regelmäßig. Sei offen für entsprechende Veränderungen in deinem Vorgehen.

Achte auf Erfolgsmomente und -möglichkeiten

  • Überlege, was typische Fallen in deiner neuen Rolle sind und wie du sie vermeidest.
  • Erstelle eine starke Vision und kommuniziere sie ausführlich und oft.
  • Welche Möglichkeiten für deine Glaubwürdigkeit und Gradlinigkeit bieten sich? Wie kannst du diese nutzen?
  • Es gibt immer ein oder zwei Stellschrauben, mit denen sich der Unternehmenserfolg mit wenig Aufwand verbessern lässt. Welche sind die „Quick Wins“ in deinem Bereich? Wie kannst du sie angehen?

Baue strategische Allianzen auf

  • Wessen Unterstützung ist von besonderer Bedeutung? Wie kannst du diejenigen als Unterstützer gewinnen?
  • Mache dir regelmäßig ein Bild davon (wie eine Mindmap oder ein Spinnennetz aufzeichnen!) wie das informelle Netzwerk um dich herum aufgestellt ist. Wer hat welche informelle Rolle und welche informelle Beziehung zueinander. Benenne es so konkret wie möglich. Leite daraus nochmal sichtbar ab: Wer hat welchen Einfluss und welche Interessen? Wie kann dir das weiterhelfen?

Nutze die „Magic of the Moment“

  • Die Veränderung deiner Rolle bringt Unruhe in dein Umfeld; das muss nicht negativ sein: nutze die Energie und Bewegung aus dieser Unruhe für weitere Veränderungen wie Teamentwicklung und Neuausrichtung in Projekten.
  • Mache dir einen Plan wie du Highperformer aus deinem Team jetzt promotest und ihre Entwicklung förderst.

Halte die Balance

  • Baue dir ein Netzwerk aus Ratgebern auf – innerhalb und außerhalb deines Teams. Hole dir unvoreingenommen ihr Feedback ein und höre vor allem erstmal zu.
  • Durchbreche immer wieder bewusst die schleichende Spirale aus vermeintlich notwendiger permanenter Anwesenheit, eigener Grenzüberschreitung, Energieverlust und die daraus resultierende Abwehrhaltung, zunehmende Voreingenommenheit, Rückzug und Isolation.

Mach den Führungswechsel für dich konkret

  • Bitte beachte: die Roadmap darf leben und sich im Laufe der Zeit noch verändern.
  • Die Liste der Punkte ist keinesfalls vollständig und nicht als „onesize-fits-all“-Schablone gemeint.
  • Sprich mit Menschen, die deinen Weg vor dir bereits gegangen sind und bitte sie um weitere hilfreiche Hinweise.
  • Ergänze Punkte, die dir selbst einfallen unbedingt – auch wenn sie dir selbstverständlich erscheinen. Manchmal verlieren wir Dinge, die uns zuvor selbstverständlich vorkamen und leichtfielen, überraschend schnell aus den Augen, wenn wir eine neue Rolle mit vielen neuen Aufgaben und Verantwortungen übernehmen.

Zusätzliche Literatur

  • Watkins, Michael – The first 90 days, Harvard Business Review Press, 2006

Über den Autor

Dr. Fabian Urban ist promovierter Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftler, systemischer Berater und aktiver Ironman-Triathlet. Er promovierte an der Universität Freiburg am Lehrstuhl für Personal- und Organisationsökonomie zum Thema „Emotionen und Führung“.

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